Dauerbrenner

Gulliver in Liliput
Ein Standardschlepper im Weinberg? Für Kenner der Materie nicht befremdlich. Gelegentlich verirren sich gar Lohnunternehmer mit gestandenen 300-PS-Boliden hier hinauf, um Dünger zu verteilen oder mit Spatenmaschinen Neuanlagen vorzubereiten (siehe auch Traktor Classic 4/2011). Michael Pfeiffer ist jedoch Winzer im eigenen Weingut – und in dessen Fuhrpark erwartet man allenfalls zierliche Schmalspurschlepper.
Arbeit und Vergnügen
Wie fand also ein Schlüter seinen Weg in den Pfeifferschen Fuhrpark? Genaugenommen sind es sogar drei starke Freisinger. Den Anfang machte ein Compact
1250 TV6 von 1986, den Michael und sein inzwischen leider verstorbener Vater Hans vor achteinhalb Jahren auf dem Hof einer Lackierwerkstatt fanden und nach kurzer Überzeugungsarbeit vom damaligen Eigner erwerben konnten. Diesen hatten sie dazu auserkoren, ihren MF 374 S vor dem Traubenwagen abzulösen. Dabei waren die fast doppelt so hohe Leistung (120 gegenüber 62 PS) und die Höchstgeschwindigkeit von 40 gegenüber 30 Kilometern pro Stunde weniger entscheidend als die rundum geschlossene Kabine, die Transportfahrten an zugigen Herbsttagen sehr viel angenehmer gestaltet als der offene Fahrerstand des Plantagenschleppers.
Der erfolgreich genährte „Schlüter-Virus“ manifestierte sich bald in weiterem Familienzuwachs. Ein 1991 gebauter Euro Trac 1600 LS erschien Vater und Sohn zunächst als zu teuer, doch wenige Wochen nach der ersten Kontaktaufnahme meldete sich der Verkäufer erneut und nannte ihnen den Preis, für den der Händler seines Vertrauens den Schlüter in Zahlung nehmen wollte. Diesen Kurs hielten auch die Pfeiffers für angemessen, und seitdem darf der 160-PS-Schlepper sein Können gelegentlich vor dem Grubber beweisen.
Open Air
Nötig wäre das beileibe nicht, und so erscheint es beinahe folgerichtig, dass die Pfeiffers ihre aus Compact und Euro Trac bestehende Schlüter-Sammlung noch immer nicht für komplett erachteten. Da ihre beiden Schlepper von MAN-Motoren angetrieben wurden, trachteten sie danach, diesen ein Exemplar mit dem klassischen Schlüter-Motor zur Seite zu stellen.
Neben mindestens sechs Zylindern stand für dieses definitive Hobbyfahrzeug ein offener Fahrerplatz ohne Umsturzbügel und erst recht ohne die charakteristische Traktomobil-Kabine ganz oben auf der Wunschliste. Diese Konfiguration war – inklusive der von Pfeiffers bevorzugten runden Kotflügel – bis Ende 1969 Serienstandard. Rund 1.500 Sechszylinder-Schlepper konnte Schlüter bis dahin absetzen, doch die Suche nach einem brauchbaren Exemplar gestaltete sich fast vier Jahrzehnte später keineswegs als leichtes Unterfangen. Zu viele Schlepper hatten bereits in den Hallen passionierter Sammler einen festen Wohnsitz gefunden, zu viele waren vom harten Arbeitseinsatz aufgerieben worden.
Rund ist die vollkommene Form
Endlich fand Michael in Schleswig-Holstein ein grundsätzlich passendes Stück: einen Super 1250 V, gebaut Anfang 1972. Diese Information lässt aufmerksame Leser der vorigen Zeilen und Kenner der Materie aufhorchen. Ab 1970 schrieb die Berufsgenossenschaft hierzulande Umsturzbügel vor, und etwa ab diesem Zeitpunkt stattete Schlüter seine Schlepper mit eckigen Kotflügeln aus – die zugleich den Aufbau der optionalen, sich steigender Nachfrage erfreuenden Traktomobil-Kabine erleichterten. Eben dieses optisch markante, aber enge und abgesehen vom Wetterschutz wenig komfortable Fahrerhaus mit den charakteristischen Schiebetüren zierte auch Michaels Objekt der Begierde. Dennoch griff er ob des akzeptablen Verhältnisses zwischen Preis und Zustand zu. Der Super 1250 V zählt nämlich zu den Schlütern, die bereits vor 1970 und daher auch mit runden Kotflügeln verkauft wurden. Abgesehen vom mächtigen, in nur zwei Exemplaren ausgelieferten Super 1500 V mit Achtzylindermotor war er sogar der größte deutsche Schlepper jener Ära.
Hochzeitskutsche
Michaels erste Amtshandlungen nach der Anlieferung des Schleppers waren daher absehbar: Er demontierte die Kabine und bestellte bei einem in der Szene bekannten Metallbaubetrieb ein Paar runde Hinterradkotflügel sowie ein Paar der an
seinem Exemplar fehlenden Vorderradkotflügel. Die Restaurierung sollte im Winter 2006/2007 beginnen, mußte aufgrund eines Getriebeschadens am Compact 1250 TV6 jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben werden – zumindest großenteils, denn während sie auf Ersatzteile für den Compact warteten, konnten Michael und Schlüter-Freund Hendrik Kauenhowen ihr Augenmerk dann doch dem Super widmen. Der Compact machte sich in der nächsten Lesesaison wieder vor dem Traubenwagen nützlich, mit der Fertigstellung des Super hatte Michael es hingegen nicht ganz so eilig. Bald jedoch konkretisierte sich ein Terminplan: Im Juni 2009 planten Michael und seine langjährige Lebensgefährtin Steffi, den Bund der Ehe einzugehen. So etwas will bekanntlich gebührend gefeiert werden, und ein standesgemäßer Schlüter-Konvoi sollte dabei nicht fehlen.
Persönliche Note
In technisch und optisch einwandfreiem Zustand präsentierte sich der Super den Hochzeitsgästen – und zeigte erst bei näherem Hinsehen einen kleinen Makel. An der Motorhaube fehlten die Schriftzüge, und das Blech warf leichte Wellen. Zu stark hatte sich der Zahn der Zeit am formschönen Blechteil zu schaffen gemacht, als dass Michael eine Komplettrestaurierung für lohnend erachtet hätte.
Die vorgenommene optische Auffrischung sollte lediglich die Zeit bis zur Beschaffung einer besser erhaltenen oder gar einer nachgefertigten Haube überbrücken. Damit wäre ein typischer Schwachpunkt der Schlüter-Schlepper genannt: Die Blechteile gelten als recht korrosionsanfällig, und die Formgebung macht einen Neuaufbau zu einem aufwändigen Unterfangen. Ersatz ist zumindest für die frühen Super-Typen derzeit jedoch nur auf dem Gebrauchtmarkt erhältlich. Unterhaltsamer Nebeneffekt der Übergangslösung: Die Hochzeitsgäste durften ihrer künstlerischen Ader freien Lauf lassen und das rote Blech nach Herzenslust signieren – ein schönes Andenken, das dem Schlepper zugleich eine persönliche Note verleiht.
Evolution der Schlüter-Motoren
Besonderes Augenmerk sollte man bei der Beschaffung eines Schlüter-Schleppers auch auf den Motor richten. Der im Super 1250 V eingesetzte Sechszylinder geht konstruktiv auf die SDW-Baureihe zurück, die im August 1962 zunächst mit drei Zylindern das Licht der Welt erblickte. Ende 1963 folgte der Vierzylinder, im April 1964 der Sechszylinder SD 105 W 6, der mit 80 PS bei 1.800 Umdrehungen pro Minute das neue Flaggschiff S 900 sowie dessen allradgetriebenes Pendant S 900 V (für „Vierradantrieb“) befeuerte – die seinerzeit stärksten Schlepper aus deutscher (Serien-)Produktion. Diesen Titel hielt auch das im September 1966 vorgestellte Flaggschiff der neuen Super-Baureihe inne, der Super 900 V mit dem auf 7.127 Kubikzentimeter Hubraum vergrößerten SD 110 W 6, der zunächst 90 und ab Ende des Jahres 95 PS bei 1.800 Umdrehungen pro Minute bereitstellte. Ende 1967 wurde die Verkaufsbezeichnung des technisch unveränderten Schleppers auf Super
950 V geändert, und auf dieser Basis entstand im November 1968 der Super
1250 V, der mit 110 PS die sich langsam der 100-PS-Marke nähernde einheimische Konkurrenz auf Distanz hielt. Die Leistungssteigerung um 15 PS entsprang einer umfassenden Überarbeitung des Motors zum neuen Typ SDM 110 W 6. Bohrung und Hub blieben mit 110 (daher die Modellbezeichnung) beziehungsweise 125 Millimetern gegenüber dem Vorgänger unverändert, doch ersetzten Mehrloch-Einspritzdüsen mit einem Einspritzdruck von 200 bar die mit 140 bar operierenden Zapfendüsen, und die Brennräume waren nunmehr außermittig in den Kolben angeordnet. Den höheren Belastungen begegnete man mit Kurbelwellenlagern von
80 Millimetern und Pleuellagern von 75 Millimetern Durchmesser anstelle der bisherigen 70-Millimeter-Lager. In dieser Form galt der Motor des 1250 V auch mit der im September 1970 auf 115 PS gesteigerten Leistung als weitgehend standfest. Ein neuer Satz Kolben und Buchsen ist kaum früher fällig als bei anderen Motoren jener Ära – und kaum schwerer, wenn auch tendenziell teurer zu beschaffen.
Der Schwingungsdämpfer
Dramatischere Folgen kann hingegen ein vernachlässigter Schwingungsdämpfer nach sich ziehen. Dieser ist am vorderen Ende der Kurbelwelle außerhalb des Motorblocks montiert und besteht aus zwei mittels einer Gummierung miteinander verbundenen Stahlscheiben. Kleinere Risse in dieser Gummierung gelten als unbedenklich, verbinden diese sich jedoch zu einem durchgehenden, in Umfangsrichtung verlaufenden Riss, erscheint der Einbau eines neuen, mit rund 850 Euro zu Buche schlagenden Schwingungsdämpfers angeraten (s. Bild Seite 16).
Andernfalls drohen ein Bruch der Kurbelwelle und/oder ein zerstörter Hauptlagerbock, in letzterem Fall also ein kapitaler Motorblockschaden. Ersatz ist dann nur aus gebrauchten Motoren zu beschaffen – und die sind selbst bei gut sortierten Teilehändlern schwer aufzutreiben. Unschöne Folgen kann auch eine mangelnde Ölversorgung haben. Zeigt die
Antriebskette der Ölpumpe Auflösungserscheinungen, ist sie daher umgehend auszutauschen, wenngleich es sich beim Original um eine Endloskette handelt, der Ersatz hingegen meist über ein Kettenschloß und damit eine „Sollbruchstelle“ verfügt.
Genuss und Reue
Für folgende Evolutionsstufen des Schlüter-Sechszylinders gilt: Je mehr Leistung man ihm abverlangt, umso kapriziöser gebärdet er sich tendenziell. Im 1972 nachgereichten Super 1250 VL trat er – wie ab Ende 1973 auch im Super 1250 V – wieder mit mittigen Brennräumen an und leistete wie schon zuvor im Export weitgehend unbedenkliche 125 PS bei 2.000 Umdrehungen pro Minute. Die im ab 1981 angebotenen Super 1250 VL Special auf 112 Millimeter erweiterte Bohrung kann hingegen thermische Probleme nach sich ziehen. Insbesondere gilt das im Schwestermodell Super 1500 TVL Special, in dem ein Turbolader die Leistung bis auf 165 PS steigert, ohne dass der Hersteller flankierende Massnahmen in Form einer Kolbenbodenkühlung ergriffen hätte.
Die ab 1982 in den 1800er- und 1900er-Typen verbaute Version mit Ladeluftkühlung und zunächst 170, dann 180 und ab 1986 gar 185 PS gilt schließlich nicht nur wegen des sich unter der knapp geschnittenen Motorhaube rapide aufheizenden Kühlerpaketes als Pflegefall – und lässt die 1250er heute als guten Kompromiss aus Leistung und Lebensdauer erscheinen.
Kraftübertragung
Einen Kompromiss musste Schlüter auch auf dem Gebiet der Kraftübertragung eingehen. Einerseits bauten die Super-Typen ab 75 PS auf der damals hochmodernen ZF-Baureihe T-300 II mit Synchronisierung für Gruppen- und Wendeschaltung sowie die oberen vier von insgesamt sechs Gängen auf. So standen insgesamt 12 Vorwärts- und 6 Rückwärtsgänge, mit Kriechgruppe gar 16/8 Gänge zur Verfügung.
Andererseits war das aus dem Super 950 bekannte, für maximal 95 PS ausgelegte T-330 II auch beim Debüt des 1250ers noch das stärkste serienmäßige ZF-Getriebe und wurde den gestiegenen Belastungen lediglich mit stärkeren Achswellen angepasst. Ab 1969 wurde wahlweise das in Details verfeinerte, von außen an den hervorstehenden Radnaben zu erkennende T-335 II verbaut. Mit den 110 beziehungsweise 115 PS des Super
1250 V war jedoch auch dieses an seiner Belastungsgrenze angelangt. Entsprechende Vorsicht ist beim Erwerb eines gebrauchten Schlüters geboten, sofern dieser nicht jüngst eine umfassende Getrieberevision über sich ergehen lassen hat. Ab 1972 trugen die weitgehend unveränderten Getriebe vierstellige Bezeichnungen – das T-330 II hieß bei Schlüter fortan T-3303, das T-335 II zunächst T-3308 und dann T-3315. Sie wurden unter anderen auch von Deutz, Eicher, Fendt und Steyr verwendet und brachten es zusammen auf eine Produktionszahl von mehr als 33.000 Exemplaren. Das spricht für eine einigermaßen gesicherte Ersatzteilversorgung, zumal manches auch noch neu von ZF erhältlich ist.
Schwieriger wird es hingegen bei der an den gegenläufig zu den Rädern rotierenden Kreuzgelenken zu erkennenden ZF-Vorderachse APL-3050, die von 1966 bis 1974 nur in knapp 13.000 Einheiten gebaut wurde und im Super 1250 V ebenfalls eine ihrer schwereren Aufgaben zu bewältigen hat. Teile sind rar und werden von ZF nicht mehr bevorratet.
Auf Achse
Nur drei Exemplare des 1250ers wurden übrigens mit Hinterradantrieb verkauft und von Februar 1969 bis März 1970 nach Italien geliefert. Die Achsen waren damals übrigens wie das Getriebe und der ebenfalls von ZF stammende Kraftheber KR 25 mit einer maximalen Hubkraft von 3,2 Tonnen aus dem kleineren 950er bekannt. Mit zwei zusätzlichen Hydraulikzylindern von jeweils 40 Millimetern Durchmesser stieg die Hubkraft im Heck auf 4,5 Tonnen. In dieser Konfiguration hob die anfangs serienmäßige Hydraulikpumpe mit einer Förderleistung von 26 Litern pro Minute das Anbaugerät allzu langsam aus. Daher und im Hinblick auf externe Verbraucher verbaute Schlüter ab 1971 eine 32-Liter-Pumpe, die nicht mehr per Keilriemen, sondern von der Kurbelwelle des Motors aus mittels Gelenkwelle angetrieben wurde.
Grenzen eines Konzepts
Die weitere Evolution des 1250ers verlief ähnlich der des legendären VW Käfer: Fast jedes Bauteil erfuhr im Verlauf der Produktionszeit eine Änderung, doch das Grundkonzept blieb gleich. Die Kabine gewann sukzessive an Raum- und Geräuschkomfort, verfügte ab 1976 über einen ebenen Boden sowie Seitenschaltung und ließ sich ab diesem Zeitpunkt zur Erleichterung von Wartungsarbeiten kippen. Gleichzeitig räumte die Lenkhilfe das Feld für eine hydrostatische Lenkung ohne mechanische Übertragungselemente. Akustisch vorteilhaft war auch das ab April/Mai 1979 verbaute Getriebe T-3345 mit schräg verzahnten Zahnrädern.
Neue Vorderachsen hielten höheren Belastungen stand und erlaubten ab 1984 Lenkeinschläge bis 50 statt zuvor 40 Grad, der Rumpf nahm nun Einhängegewichte auf und die mittlerweile mit 50 l/min Förderleistung operierende Hydraulikpumpe wurde über Zahnräder angetrieben. Ab Juni 1986 war die 50 Kilometer pro Stunde schnelle „High-Speed“-Version verfügbar, und im Frühjahr 1988 ergänzte eine einfache zweistufige Lastschaltung mit Freilauf das Angebot. Mit optionaler elektronischer Hubwerksregelung sowie ab 1990 mit einheitlich auf 2.810 Millimeter verlängertem Radstand und weit heruntergezogenen Kotflügeln ging der 1250er in die letzte Runde – und konnte sein Alter ähnlich dem VW Käfer längst nicht mehr verheimlichen.
Entscheidender Unterschied zum automobilen Krabbeltier: Auf das Ende des 1250ers folgte bald auch das Ende seiner traditionsreichen Produktionsstätte in Freising. Bis dahin waren knapp 2.600 Exemplare aller Ausbaustufen entstanden – genug, um den Super 1250 zu einer weithin anerkannten und beliebten Größe gedeihen zu lassen.
Von Klaus Tietgens
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aus Traktor Classic 02/12, Seite 12