Altes Wissen
DIE FORM
Einige Blumen und Bäume sprechen die symbolische Bedeutung schon durch ihre augenscheinliche Form an. So bietet die Trauerweide mit ihren weit herunterhängenden Zweigen jedem Betrachter ein Bild des Jammers. Kein Wunder, dass sie für Trauer, Abschied, Schmerz, Tod und Tränenströme steht.
An die Vergänglichkeit erinnert auch die Tulpe: Ihr rasches Verblühen mahnt die Endlichkeit aller irdischen Pracht an. „Andererseits werden ihr wie vielen Pflanzen noch weitere, oft entgegengesetzte Inhalte zugeordnet“, so Clemens Zerling. „Mit ihrer aufrechten glatten Blüte und dem unverzweigten Stängel ist sie gleichzeitig ein Sinnbild für vollkommene Schönheit und Glück.“
Genauso zwiespältig erscheint den Menschen schon seit Jahrhunderten die Pfingstrose. Ihre imponierende Blüte gilt als Ausdruck von Fülle, Überfluss und Fruchtbarkeit, deutet aber zudem Eitelkeit, Aufdringlichkeit, Unverfrorenheit und ungezügelte Antriebsenergie an.
Die schlanke Form und die schwertförmigen Blätter der Gladiole dagegen signalisieren kämpferische Abwehrbereitschaft. Deshalb hingen ihre Knollen früher in den Almhütten –um das Böse und jede Hexerei fernzuhalten.
DIE BLÜTEN UND BLÄTTER
Warum ist die Mimose ein Zeichen für Unnahbarkeit, Introvertiertheit, Scham, Schüchternheit und Empfindsamkeit? Weil sie jedem zu sagen scheint: Fass mich bloß nicht an! Schon bei der kleinsten Berührung an einer Stelle schließt sie dort ihre Fieberblättchen, bei einem länger anhaltenden Reiz senkt sie sogar den Blattstiel herab.
„Nicht ganz so offensichtlich ist die sinnbildliche Bedeutung des Gänseblümchens“, meint der Experte für Pflanzensymbolik. „Es steht für unbändige Kraft, Beständigkeit, Unvergänglichkeit, Bescheidenheit und ewiges Leben – weil es wie kaum eine weitere Pflanze Ausdauer beweist: Das Maßliebchen, wie es oft genannt wird, blüht unverdrossen vom Frühjahr bis weit in den Herbst hinein.“
Den immergrünen Pflanzen wie dem Efeu wird deshalb Unsterblichkeit zugeordnet: Ihre Blätter und Blüten überdauern selbst den stärksten Winter – und dazu gehören unbedingter Überlebenswille und Hartnäckigkeit. Bei genauem Hinschauen erschließt sich auch, weshalb das Vergissmeinnicht Stetigkeit, Treue, zärtliche Erinnerung und wahre Liebe signalisiert: Seine Blüten sehen wie sanfte blaue Augen aus, die eine dauerhafte Bindung versprechen.
ZEITPUNKT BLÜTE
Frühlingsblumen lösen immer starke Gefühle aus, weil sie das Licht und die wärmere Jahreszeit ankündigen. Sie öffnen den Menschen die Herzen, versprechen
Hoffnung auf ein neues Leben und eine neue Liebe.
Weil die tollkühnen Vorkämpfer unter ihnen sogar Eis und Schnee trotzen, wird ihnen Mut, Unerschrockenheit, Unbesiegbarkeit und Erlösung nachgesagt. Bestes Beispiel: das Schneeglöckchen. Gleichermaßen verweisen die Boten des Lenz auf Erwartung und Hoffnung wie auf Abschied und Verlassenheit, weil sie schnell wieder verblühen. So symbolisiert die geheimnisvolle Anemone, die sich gerade im Wald zu einladenden Teppichen ausbreitet, auch flüchtige Schönheit, Verwundung und Leid.
Zur Sommersonnenwende wappnet sich das Licht für die Reise in die Unterwelt. Daher glaubte man früher, dass Pflanzen, die zu der Zeit blühen, mit einer besonderen Schutzfunktion ausgestattet sind – wie der Beifuß, der für Beistand gegen alle Beeinträchtigungen und Behinderungen bürgt. Zähigkeit, Stärke und Widerstandskraft gegen Unbill legen Herbstblumen ebenfalls an den Tag: Heiterkeit unter schwierigsten Bedingungen und einfaches Leben in Abgeschiedenheit sind Attribute, mit denen deshalb die Chrysantheme ausgezeichnet wird.
FARBE
Eine besondere emotionale Bedeutung wird der Blütenfarbe zugesprochen. Clemens Zerling: „Weiß beispielsweise symbolisiert Sterben und Trauer, zugleich den hellen Tag und die Geburt neuen Lebens. Im Christentum ist es ein Sinnbild für Unschuld, Jungfräulichkeit und ein tugendhaftes Leben.“ So spricht die Lilie, die seit alters her eine überschwängliche Wertschätzung genießt, für eine edle Gesinnung, Reinheit des Herzens, Unbeflecktheit und Sehnsucht nach Vollkommenheit.
Mit seinen großen roten Blüten ist der Klatschmohn einerseits ein Symbol für Leben, Freude, Fülle, Glück und schöpferische Kreativität. Der mittelalterliche Volksglaube verdächtigte diese „Feuerblume“ indes als Teufelswerk, weil ihr Extrakt Müßiggang verursachte. Blau steht für Treue, Ferne, Kälte, überdies für Macht, Geist und Göttliches. Der Rittersporn verspricht deshalb mit seinen Blüten in der Farbe des Himmels beständige Liebe und ist ein Garant für höchste Tugend und ritterliche Haltung. Gelb ist verbunden mit Hass und Neid, aber auch mit der Sonne. Daher repräsentiert der Stechginster mit seinen goldfarbenen Blüten den Frühling genauso wie Armut, Verleumdung, Hölle, Sünde und geistige Dürre.
WUCHS UND STANDORT
Schlängelnd oder geradlinig, tief wurzelnd oder horizontal vernetzt, auf kargem Boden oder am Wasser stehend – aus Wuchs und Standort einer Pflanze haben schon unsere Vorfahren die „Charaktereigenschaften“ einer Pflanze abgeleitet.
Weil sich die Erdbeere trotz ihres Wohlgeruchs, ihrer prächtigen Farbe und ihres süßen Geschmacks demütig zur Erde beugt und kleinwüchsig bleibt, erhob man sie in der christlichen Ikonografie zum Sinnbild vollkommener Rechtschaffenheit. Die Schwertlilie dagegen zeigt mit ihrer aufrechten Haltung große Würde und symbolisiert Sieg, königliche Herrschaft und adlige Tugenden.
Die Kiefer, die selbst an vegetationsarmen, steinigen und gebirgigen Standorten überlebt, ist zu einem Gleichnis für Standhaftigkeit, Ausdauer, Anpassung an die Gegebenheiten und die Bewältigung von Schwierigkeiten durch Selbstzucht geworden. Farne bevorzugen dunkle Wälder und verzichten auf Blüten – und stehen deshalb für Zurückgezogenheit und Demut. Das Gegenteil wird der Narzisse nachgesagt: Weil sie sich gern an Ufern ansiedelt und dem Wasserspiegel zuneigt, sprechen aus ihr Eitelkeit und Selbstzufriedenheit.
GERUCH UND GESCHMACK
„In der Antike wurde der Geruch einer Pflanze höher bewertet als die äußere Formgebung. Starker Duft war mit erneuernden Kräften verbunden sowie mit jeder Art von Schutz und Reinigung“, erläutert der Fachmann für Kultur- und Religionsgeschichte. Entsprechend steht der Flieder wegen seines betörenden Duftes nicht nur als Symbol für erste zarte Regungen der Sinnlichkeit und die junge, romantische Liebe, sondern bietet ebenfalls Schutz vor dämonischen Einflüssen.
Der Schwarze Holunder präsentiert sich nicht so eindeutig: Die weißen Blüten riechen süß, die Blätter schmecken bitter, die Früchte faulig. Entsprechend doppeldeutig spricht er für Gefahr und Verhängnis auf der einen, Schutz und Rettung auf der anderen Seite. Die christliche Deutung bescheinigt ihm Sünde und Scheinheiligkeit. Letzteres kann auch der Aronstab für sich beanspruchen. Er lockt mit seinem intensiven Geruch Insekten an und schließt sie im Kelch ein, bis die Befruchtung erfolgt ist. Sehr verständlich, dass ihm Verführung, Hinterlist und Fallenstellerei nachgesagt werden.
RELIGION
Viele Pflanzensymbole haben ihren Ursprung in Bibel und Religionsgeschichte sowie in den bildlichen Darstellungen christlicher Motive. Eines der bekanntesten ist der Apfel: Er ist bis heute eine Metapher für Verlangen, Verführung und Versuchung, bedeutet aber zudem Neuanfang, Reinigung von allen Lastern und Entwicklung durch Erkenntnis. Mit einem alttestamentarischen Fluch wurde die Distel beladen. Mühsal, Plackerei, Schmerzen, Hindernisse, Rachsucht und Menschenfeindlichkeit sind die Attribute, die sie seit Jahrtausenden verkörpert. Weil das Buch der Bücher an vielen Stellen die Zeder wegen ihres Holzes und ihres geraden Wuchses preist, ist sie ein Sinnbild für Erhabenheit, Heiligkeit, Schönheit, Stärke und Erneuerung. Und da sich Adam und Eva nach dem Sündenfall mit einem Feigenblatt bekleideten, wird der Baum mit Schamhaftigkeit in Verbindung gebracht. Wegen seines Überflusses an Früchten spricht er allerdings auch für Fülle, Paradies, Lebenskraft und für frivole Sinneslust.
ZAHLENSYMBOLIK
Viele Sinnbilder sind auf Zahlensymbolik zurückzuführen. Dazu der Autor: „Die Drei vertritt in vielen Kulturen die Grundordnung des Universums – in den geistigen Ebenen von Himmel, Erde und Unterwelt, in der Zeit als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und in der christlichen Lehre die Trinität von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist.“ Darauf scheint die Akelei, die bei Blattebenen, der Zahl der Blätter und Blattteilungen am Stiel immer mit der Drei spielt, demonstrativ hinzuweisen. Deshalb steht sie für Lebenskraft, die Überwindung irdischer Begrenzung, umfassendes Heil, Triumph, Erlösung und die Lobpreisung Gottes.
Die Vier ist das Symbol für Ganzheit und Harmonie der Schöpfung. Diese Zahl findet sich beim Enzian, einem Sinnbild für Gleichgewicht auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene, Ausgleich und Erlösung: Stängel und Wurzelmark zeigen eine kreuzförmige Öffnung, die Petrus einem Volksglauben zufolge
mit seinem vierschneidigen Schwert hineingestochen haben soll. Damit korrespondieren die auffallend regelmäßigen, kreuzweise gestellten Blattpaare.
Angelika Krause