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Feine Borsten

Die Naumburgerin Ursula Römer beherrscht eine seltene Kunst: Sie fertigt Stallbesen, Abwaschbürsten, Spinnenfeger, Rasierpinsel und Co. noch auf traditionelle Weise. Wir haben sie in ihrer Werkstatt besucht.
Von Angelika Krause

 
Wer die winzige Ladenwerkstatt von Ursula Römer nahe des Naumburger Doms zum ersten Mal betritt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bis dicht unter die Decke stapeln sich die Bürsten in den Regalen: zum Baden und Frisieren, zum Reinigen von Hüten, Polstern und Kleidungsstücken, zum Abwaschen, Schrubben und Schuheputzen. Daneben hängen Besen, Feger und Wedel in allen Formen und Größen, deren verschiedenartige Haare und Borsten zum Darüberstreichen verlocken. Fast jedes Stück ist mit der Hand gefertigt – von Ursula Römer, die sich an ihrer Werkbank hinter der Ladentheke von den Besucher gern über die Schulter schauen lässt.« 

BEIM VATER IN DER LEHRE
»Ich habe nicht nur mein Leben lang hier gearbeitet, ich bin sogar in diesem Haus geboren«, erzählt sie, während sie mit einer Drahtschlaufe ein dünnes Bündel heller Schweineborsten in eine Tischbürste einzieht. Ihr Großvater, der die Bürstenmacherei Steinbrück 1876 gegründet hatte, erwarb das schmale Gebäude 1891 – einige Jahre nach seiner Rückkehr von der Walz, auf der er das Handwerk meisterlich erlernte. Aus alten Unterlagen weiß die Familie sogar noch, welche Ware er in seinem Laden dem ersten Kunden verkaufen konnte: Es war eine Kleiderbürste. Ursula Römers Vater hat den kleinen Betrieb 1922 übernommen, bei ihm ist sie später in die Lehre gegangen. »Damals haben wir das Rosshaar aus dem Schweif oder aus der Mähne noch selbst im Hof hinter der Werkstatt zur Weiterverarbeitung vorbereitet. Das roch wirklich unangenehm und der Gestank hing danach noch tagelang im ganzen Haus«, erinnert sich die Naumburgerin. In einer mühseligen Prozedur wurde das Haar nach Farbe und Stärke sortiert, mit dem Mischkamm gesäubert, gebündelt, eingeweicht, mit heißem Seifenwasser gewaschen und anschließend drei bis vier Stunden gekocht. Nach dem Trocknen wurde es erneut gekämmt und gebündelt. Heute kauft die Bürstenmacherin, die mit zu den letzten ihres Standes in Deutschland gehört, das »Besteckungsmaterial« – ausschließlich Naturstoff e – in handlichen Bündeln gebrauchsfertig ein. Rosshaar wird hauptsächlich für Stubenbesen, Hand- und Spinnenfeger verwendet. Für feinere Haar- und Kleiderbürsten eignen sich Schweineborsten und Ziegenhaar, grobe Bürsten und Gartenbesen werden mit Pfl anzenfasern wie Arenga, Madagaskar, Fibre oder Kokos gearbeitet. Einfach unschlagbar ist ein Straßenbesen aus Bahia, dem Gegenstück zur roten Kunstfaser: Er kehrt hervorragend und lässt seinen Besitzer auch im Winter nicht im Stich. Wie schon ihr Vater benutzt Ursula Römer für den Korpus heimisches Rotbuchenholz, bei manchen Haarbürsten kommt Olive zum Einsatz. 

DRAHT STATT BINDFADEN
Das Holz der Tischbürste, an der die Handwerkerin gerade arbeitet, ist mit kleinen trichterförmigen Löchern versehen. In diese zieht sie die weichen, in der Mitte zusammengelegten Schweineborsten mithilfe eines Phosphor- Bronze-Drahts hinein, der den früher üblichen starken Bindfaden ersetzt. Das sieht einfacher aus, als es ist: Jahrelanger Übung und viel Gefühl ist es zu verdanken, dass sie mit einem Griff die richtige Menge an Borsten aus dem Bündel zieht, die gefaltet genau in den Hohlraum passt. Zügig wird so Loch für Loch gefüllt – erst die eine Reihe, dann geht es mit der zweiten wieder zurück, sodass die beiden Drahtenden auf der Rückseite am Schluss gut miteinander verknotet werden können. Eine Schallplattenbürste hat übrigens den gleichen Korpus, wird aber mit antistatisch wirkendem Ziegenhaar bestückt. Eine echte Kunst ist der Stirneinzug, den heute nur noch wenige Bürstenmacher beherrschen. „Diese Technik verwendet man für sehr edle Haarbürsten“, erklärt die Fachfrau, „Dabei wird das Holz nicht aufgeschnitten, sondern der Draht muss durch ganz feine Bohrungen von der Stirnseite der Bürste aus zu den Löchern für die Borsten geführt werden.“ Dieser Aufwand ist teuer: Während eine normale handgearbeitete Haarbürste etwa 30 Euro kostet, bezahlt man für ein Exemplar mit Stirneinzug zwischen 60 und 150 Euro. Kaum noch ausgeführt wird das Pechen, eine der ältesten Techniken der Bürstenmacherei, die Ursula Römer heute noch für Stallbesen einsetzt. Dabei werden die Arenga- oder Madagaskarfasern nicht mit Draht eingezogen, sondern mit heißem Pech in den Löchern befestigt. Die Schwierigkeit dabei: Das Pech muss konstant die richtige Temperatur haben. Ist es zu warm oder zu kalt, lassen sich die Bündel nicht fi xieren. 

LANGE LEBENSDAUER
Echte Handarbeit hat ihren Preis. Für eine Abwaschbürste zahlt man in der Bürstenmacherei Steinbrück 7,65 Euro, für einen Handbesen 15,50 Euro, der Spinnenfeger – viele sagen auch Hintermschrankbesen – ist mit 21 Euro ausgezeichnet. Dazu die Expertin: »Hochwertige Bürsten fühlen sich einfach besser an und machen sich nicht nur durch eine lange Lebensdauer bezahlt. Sie können auch jederzeit wieder neu bezogen werden, wenn das Holz noch funktionstüchtig ist. Damit leisten unsere Kunden auch einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz.« Gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn, der sich vor einigen Jahren zum Pinsel- und Bürstenmacher umschulen ließ, repariert sie auch unansehnlich gewordene Erbstücke, wie beispielsweise alte silbergefasste Haaroder Kleiderbürsten. Ein langes Leben haben die handgearbeiteten Borstenträger vor sich, wenn man sie gut behandelt. So sollte man Besen nicht hinstellen, sondern aufhängen, um die Rosshaare zu schonen. Die Flusen werden regelmäßig abgezupft, hin und wieder hat der Haushaltsgehilfe ein Bad verdient. Gewaschen wird er mit Shampoo oder einem fettlösenden Allzweckreiniger – und zwar nur die Borsten, das Holz bleibt trocken. Heizungsluft kann er genauso wenig leiden wie direkte Sonne. Auch Haarbürsten brauchen immer wieder ein Shampoobad, zwischendurch werden sie mit einem speziellen Bürstenreiniger mit stabilen Kunstborsten gesäubert. 
Angelika Krause

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Zu Besuch bei einer Bürstenmacherin
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